In einem Partnerforum der IFMN kam vor einiger Zeit die interessante Frage auf, ob man Phytoplankton nicht einfach aus dem beim Wasserwechsel im Riffaquarium anfallenden Aquarienwasser heranziehen kann. Nicht ganz zu Unrecht wurde der Fragende sogleich auf die bessere Handhabbarkeit und die eindeutig größeren Erfolgschancen von käuflichen Zuchtansätzen hingewiesen. Der Aquarianer wollte aber offensichtlich nicht (gleich) in die „richtige“ Planktonzucht einsteigen, sondern einfach einmal etwas ausprobieren und völlig aussichtslos ist die Sache nicht. Vielleicht hat ja der eine oder andere auch Lust, einfach einmal ein wenig zu experimentieren, ohne gleich intensiv in diesen höchst interessanten Bereich der Aquaristik einzutauchen.

Wer heute in die Planktonzucht einsteigt, tut das in aller Regel mit Zuchtansätzen, die man kaufen oder von netten Mitmenschen gelegentlich auch kostenlos erhalten kann. Das ist heutzutage nicht nur der übliche, sondern bestimmt auch der zuverlässigste Weg in die Zucht. Aber das war nicht immer so. Planktonzuchtansätze in bezahl- und verwertbaren Kleinmengen für den Hobbybereich sind ebenso wie spezielle Dünger und Reaktoren noch nicht allzu lange einfach zu besorgen. Die Anfänge der Planktonzucht in der Meerwasseraquaristik reichen aber weiter zurück.

Ich stieß Mitte der 80er Jahre durch das 1984 im Kernen Verlag erschienene Büchlein von Günter Spies "Züchterkniffe VII - Anemonenfische" (ja, so lange werden die schon gezüchtet!) erstmals auf die gezielte Zucht von marinem Phytoplankton. Der Autor beschrieb, dass man "grünes Wasser" außer durch käufliche Zuchtansätze (die damals kaum zu erhalten waren) oder durch Animpfen aus bestehenden Kulturen auch erzeugen kann, indem man Wechselwasser aus einem eingefahrenen Becken in Gläsern auf die Fensterbank stellt. Zusätzlich empfahl Spies, den Ansatz mit „der Brühe von ausgedrückten Fadenalgen“ zu versehen. Ich habe das natürlich gleich ausprobiert und seither in verschiedenen Varianten praktiziert und - neben missglückten Versuchen - auch immer wieder Erfolg gehabt. Allerdings muss man eines bedenken: Die früheren Becken waren in der Regel wesentlich weniger "sauber" und vor allem nicht so stark abgeschäumt. Sie waren daher auch nährstoffreicher. Heute werden die meisten Becken sehr stark abgeschäumt und die Werte möglichst gegen Null gefahren. Ein dichter Korallenbesatz verringert die Planktondichte vermutlich nochmals. Damit sinken die Chancen auf Planktonproduktion aus dem Wechselwasser moderner Riffbecken deutlich gegenüber den früher eher mit Fischen und Krebstieren besetzten Aquarien. Aber auch hier macht nur der Versuch klug.

Ich habe die Planktonzucht zunächst mehr aus Experimentierfreude als aus Nachzuchtgründen betrieben und es mir möglichst einfach gemacht. Es gab ja auch noch kaum allgemein zugängliche Erkenntnisse, die ich beachten hätte können und so werkelte ich notgedrungen nach der Methode „Was ich nicht weiß, macht mich nicht heiß!“ vor mich hin. Ich habe einfach Wechselwasser aus der freien Wassersäule (also nicht abgesaugt vom Boden oder Steinen!) in höhere Gläser gegeben und an ein Ostfenster gestellt. Zu viel Sonneneinstrahlung (etwa am Südfenster) erwies sich schnell als ungünstig, vor allem, wenn sich die Gläser recht erwärmten. Die meisten Phytoplanktonarten mögen es eher kühl. An Gläsern für die Fensterbank eignen sich z.B. recht gut solche, in denen heute lange Würstchen verkauft werden, weil die einen geringen Querschnitt, aber recht viel Höhe aufweisen. Sie haben zwar nicht viel Volumen, zum Experimentieren reicht es aber allemal. Man muss halt die Würstchen vorher essen. Natürlich gehen aber auch andere Gläser oder PET-Flaschen (siehe Bild 1) und man kann bei passenden Temperaturen auch eine Aufstellung auf dem Balkon oder der Terrasse versuchen.

Angst vor Zooplankton hatte ich damals nicht und auch heute halte ich sie – bezogen auf diese Methode - für übertrieben. Die größten „Schädlinge“ in einer Phytoplanktonkultur sind Rädertierchen (Brachionus), die im normalen Aquarienwasser höchst selten vorkommen. Dann kommen – wohl als Folge bakterieller Massenvermehrung - Ciliaten (Wimpertierchen), von denen besonders die Euplotes sp. unangenehm sein können. Ihr massenhaftes Auftreten ist eher ein Symptom für eine misslungene Phytoplanktonkultur als ihre Ursache. Auch diese Tierchen kommen aber im Freiwasser üblicher Riffbecken so gut wie nicht vor, vor allem aber sind sie ohnehin durch Aussieben schwer zu entfernen und durch bloße Erhöhung der Salinität nicht umzubringen. Also habe ich weder die Dichte erhöht noch sonstige Maßnahmen getroffen. Wenn sich einmal wirklich eine größere Menge Zooplankton entwickelte, habe ich das – jedenfalls in der Anfangszeit - nicht als Unglück, sondern eher als spannenden Glücksfall betrachtet. Diesen Un-Glücks-Fall kann man übrigens fördern, indem man das Wasser aus Mulmecken oder dem Filtersumpf absaugt. Will man aber Phytoplankton, gibt es heute für ganz vorsichtige Aquarianer recht günstig Gaze z.B. mit 11 µm, durch die man das Wasser vor dem Versuch laufen lassen kann.

PhytoplanktonDas Wechselwasser wird in saubere Gläser gefüllt und offen aufgestellt. Ich habe meist mehrere Gläser angesetzt. Wenn es klappt, geht es zumindest anfangs auch ohne Belüftung und wenn sich gar nichts entwickelt, hilft der Blubberschlauch auch nicht. Wer eine grobperlige Belüftung von Anfang an verwirklichen kann, ist aber sicher nicht im Nachteil. Ich selbst stelle seit Jahren außerhalb der Winterzeit im Freien größere Zylinder (Sprudelsäulen) auf, in denen ich gelegentlich auch mit einem „Wechselwasseransatz“ arbeite. Diese sind wegen der höheren Wassermenge und –säule schon von Anfang an belüftet. Die unbelüfteten und viel kleineren Gläser auf der Fensterbank kann man hingegen auch einmal täglich verschließen und umkippen, das bringt auch eventuellen Bodensatz in Bewegung. Wenn sich Phytoplankton entwickelt hat, kann man zur längerfristigen Kultur immer noch eine Belüftung installieren, was dann aber auch anzuraten ist.

Ohne zusätzliche Düngung läuft selbst bei höher belastetem Wechselwasser selten etwas. Das hat wohl auch G. Spies gemeint, als er die Brühe von ausgedrückten Fadenalgen als Beigabe empfahl. Soweit erinnerlich, war diese Methode bei mir wenig effektiv, unabhängig davon, dass man nicht immer eine solche Menge Fadenalgen zur Verfügung hat. Die in den Anfangsjahren der aquaristischen Planktonkultur empfohlene Verwendung von Blumendüngern ist ebenfalls nicht ratsam, weil sie meist zu viel Kupfer und andere unliebsame Sachen enthalten, die man nicht im Riff- oder Aufzuchtbecken haben will. Will man nur experimentieren und das Phytoplankton gegebenenfalls nicht mehr ins Aquarium geben, kann man auch einmal mit ein paar Tropfen Blumendünger arbeiten. Mittlerweile verwende ich nur noch speziellen Phytodünger (meist f/2). Als es den für den Hobbybereich noch nicht gab, habe ich verschiedentlich recht skurrile Versuche angestellt, die oft vergeblich, aber immer spannend waren. Ganz gut funktioniert hat z.B., eine kleine Prise eines möglichst naturreinen Guano-Düngers im Ansatz aufzulösen oder – noch besser - außerhalb in Lösung zu bringen und ein paar Tropfen davon zuzugeben (damit kann man das meist enthaltene Gesteinsmehl aus dem Ansatz fernhalten). Vielleicht waren darin sogar Algensporen oder Dauerstadien enthalten, keine Ahnung. Die Methode rentiert sich aber nur, wenn man für den Garten sowieso Guano-Dünger zuhause hat. Einfache Algen (wie Nannochloropsis) sind auch nicht unbedingt auf zusätzliche Vitamine und andere speziellen Stoffe angewiesen. Wenn man Nitrat und Phosphat vorsichtig erhöht, reicht das für den Start; der Phantasie sind dabei kaum Grenzen gesetzt. Aber: Das „Vorsichtig“ ist wichtig, denn zu wenige Nährstoffe senken die Chancen, zu viele aber vernichten sie ziemlich zuverlässig. Und: Der Dünger sollte keine Stoffe enthalten, die man im Aquarium keinesfalls in höherer Konzentration haben will. Und schließlich: Der Dünger sollte möglichst vollständig verbraucht sein, bevor man das Plankton verwendet.

Wenn alles passt, sollte in einem Zeitraum von 5 bis 14 Tagen eine Grünfärbung gut erkennbar sei. Der Verlauf ist aber ganz unterschiedlich, Wenn sich auch nach 2 Wochen noch gar nichts rührt, kann man die Hoffnung normalerweise aufgeben und neu ansetzen. Das gleiche gilt, wenn an den Behälterwänden festsitzende Fadenalgen oder Cyanobakterien wachsen oder sich das Wasser durch Bakterien oder Ciliaten eintrübt. Das ist aber nicht so schlimm, denn Wechselwasser gibt es ja regelmäßig und dem Aquarium schadet es auch nicht, zwischendurch einmal einen Liter für einen neuen Versuch zusätzlich zu entnehmen.

Ob und wann es klappt, kann aber keiner wirklich vorhersagen. Wie gesagt, ich denke auch, dass die Chancen bei den heutigen Aquarienwässern nicht mehr so groß sind wie früher. Wenn es aber klappt, kann man das Plankton weiter vermehren oder es – nach Verbrauch der Nährstoffe - im Riffbecken verwenden oder damit Zooplankton ernähren. Zur Nährstoffbestimmung eigenen sich in einer Planktonsuppe die üblichen Tröpfchentests nicht, weil zerstörte Algenzellen das Ergebnis verfälschen. Hier sind Teststreifen (ausnahmsweise) besser geeignet.

Vermutlich werden jetzt die ambitionierten und erfahrenen Züchter milde lächeln, den Kopf schütteln oder gar die Nase rümpfen. Selbstverständlich ist die dargestellte Methode nicht geeignet, wenn man Phyto- und Zooplankton für eine laufende oder kurz bevorstehende Zucht mariner Tiere braucht. Dafür ist sie zu langwierig und viel zu unsicher, Auch kann man damit nur „einfache“ Algenarten erwarten, obwohl ich mit der Wechselwassermethode neben Nannochloropsis und Synechococcus auch schon einediverses Phytoplankton in Freilandkultur dichte Kieselalgenbrühe (siehe Bild 2) erhalten habe. Aber wenn es einfach darum geht, ohne Erfolgsdruck und ohne gleich viel Geld, Platz und Zeit zu investieren, dem Forschergeist und der Experimentierfreude freien Lauf zu lassen, ist das eine durchaus probate Methode, bei der man eine Vielzahl denkbarer Wege einfach ausprobieren kann. Und wer weiß, vielleicht findet der oder die eine oder andere so viel Freude und Interesse an der Sache, dass er/sie weitermacht und sich zum „richtigen“ Züchter entwickelt? Fensterbankplankton ist eine legale, kostengünstige und einfach zu beschaffende Einstiegsdroge in die „Sucht der Zucht“ und allemal einen Versuch wert!

Allen, die ein Eckchen auf der Fensterbank oder der Terrasse frei haben und es wagen wollen, viel Spaß und vor allem Erfolg!

Wolfgang